Rede Präsident BDF – GL a.D. Hans-Werner Fritz – zum Fallschirmjägergedenken Altenstadt am 26. Mai 2019

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, liebe Kameraden!

Es ist erst wenige Tage her, dass ich mit einer Gruppe  von ehemaligen Fallschirmjägern der Kameradschaften Nagold und Calw mit Damen aus Mt. Cassino zurückgekommen bin. Anlass unseres Besuches waren die Gedenkveranstaltungen zum 75. Jahrestag der Schlacht um Mt. Cassino, die am 17. Januar 1944 begann und am 18. Mai 1944 mit einem Durchbruch und dem weiteren Vordringen der Alliierten auf Rom endete. Die Schlacht um Mt.Cassino war eine der blutigsten des 2. Weltkrieges – was vielen bis heute nicht bewusst ist – und war neben dem Einsatz auf Kreta sicher einer der schwersten und verlustreichsten Einsätze der deutschen Fallschirmjäger überhaupt. Insgesamt sind bei den Kämpfen um Mt.Cassino auf alliierter Seite 55.000 Tote und auf deutscher Seite 20.000 Tote zu beklagen. Nicht zu vergessen die großen Verluste auch der italienischen Bevölkerung in diesem Raum.

„Mortui Viventes Obligant“ – „Die Toten verpflichten die Lebenden“ – so lautet eine bekannte Mahnung schon aus römischer Zeit. Steht man heute auf den Soldatenfriedhöfen vor den Gräbern der Gefallenen wird der Sinn dieser Worte so klar wie je: Wir können das Geschehene nicht ungeschehen machen, aber wir haben eine Verpflichtung für das Jetzt und das Morgen. Uns selbst und den nachfolgenden Generationen gegenüber. Diese Verpflichtung kann man in zwei Schlagworten zusammenfassen, nämlich „Nie wieder!“ und „Versöhnung“!

Ich glaube, beide Gedanken, „Versöhnung“ und „Nie wieder“ sind bei allen ehemals kriegsführenden Nationen angekommen. Wir haben bei unserem Besuch neben der Gedenkveranstaltung auf dem deutschen Soldatenfriedhof – diese stand für uns natürlich im Mittelpunkt – auch an den Gedenkveranstaltungen der Briten und der Neuseeländer auf dem Commonwealth-Friedhof in Mt. Cassino  teilgenommen. In keiner der Reden, die dort gehalten wurden, war von Hass oder gar Vergeltung der Rede. Im Mittelpunkt standen immer die Trauer um die Toten beider Seiten und der Wunsch nach Frieden. Im Angesicht der Gräber und der Lebensdaten der Gefallenen wird jedem klar, dass Kriege nicht von alten Männern, sondern von den ganz jungen, teilweise noch Teenagern – wie wir heute sagen würden – gekämpft werden. Wir sprechen also von denjenigen, die seinerzeit das Leben eigentlich noch vor sich hatten und die Zukunft ihres Landes waren.

Die Leiden und die Belastungen, die diese Soldaten zu tragen hatten, gehen vermutlich über unser Vorstellungsvermögen hinaus und nur diejenigen unter uns, die selbst im Feuer gestanden haben, haben vielleicht eine Ahnung von dem, was sich in den Schlachten abgespielt hat. Wir wurden bei unserem Besuch von einem der wenigen noch lebenden „alten Adlern“ begleitet. Heute 94 Jahre alt, nahm er an den Kämpfen um Mt. Cassino als 18 Jähriger teil. Er kannte noch jeden Namen der Kameraden seiner Einheit, die in Mt. Cassino den Tod gefunden hatten, und die Umstände, unter denen sie gefallen waren: Zwei verbrannten bei lebendigen Leib in einem Heuhaufen, in dem sie eine Stellung bezogen hatten und der von einer Mörsergranate getroffen wurde. Vier stürzten mit ihrem Gefechtsfahrzeug in eine Schlucht, keiner überlebte das Unglück. Zwei wurden von einer alliierten Panzergranate zerrissen und einer – heute kaum fassbar – wurde von einem deutschen Feldwebel, der der Einheit erst wenige Tage angehörte, erschossen, weil sich der Soldat, ein Oberjäger, einem sinnlosen Befehl widersetzte. Der Tränen, die unser alter Adler vor den Gräbern seiner Kameraden vergoss, brauchte er sich wahrlich nicht zu schämen. Es war anrührend und tröstlich, als wir unseren Kameraden mit drei britischen „alten Adlern“ – sie waren zwischen 94 und 96 Jahre alt – bei der britischen Gedenkfeier bekanntmachen konnten.

Die alten Herren sprachen freundlich und respektvoll miteinander, von Groll oder Ablehnung keine Spur. Nach meinem Eindruck hatten alle ihren Frieden gefunden.

Die Tatsache, dass die deutschen Soldaten und unter ihnen die Fallschirmjäger,  in einem Krieg ihr Leben ließen, der zu diesem Zeitpunkt längst verloren war und der – noch viel schwerwiegender – von einem verbrecherischen Regime für einen verbrecherischen Zweck geführt wurde, ändert nichts daran, dass der Gefechtswert und die Kampfmoral insbesondere der Fallschirmjäger sehr hoch waren. Eigentlich eine Tragik in sich! Ich sprach bei der Gedenkfeier der Neuseeländer mit einem älteren Herrn, dessen Vater in Mt. Cassino gefallen war. Der sagte zu mir: “Warum musstet ihr Deutschen so tapfer kämpfen? Was wäre uns und Euch erspart geblieben?“ Er sagte dies nicht vorwurfsvoll, sondern traurig.

Wer könnte den Gefechtswert der Fallschirmjäger in den damaligen Kämpfen  besser beurteilen als die ehemaligen Alliierten!? Ein Zitat aus einem Bericht vom 22.März 1944 des damaligen britischen Oberbefehlshabers in Mt. Cassino, General Alexander, an den Chef des Generalstabes des britischen Empires, Feldmarschall Alanbrook, belegt das mehr als deutlich. General Alexander schrieb über die deutschen Fallschirmjäger: „Unglücklicherweise kämpfen wir gegen die besten Soldaten der Welt. Was für Männer! Sie hätten das Luftbombardement Cassinos und dann das (….) Trommelfeuer des größten Teils von 800 Geschützen sehen sollen und wie dann den Neuseeländern als sie zum Angriff antraten, ein Haufe die Stirn bot – nein kein Haufe, sondern was von diesen wilden Tieren übriggeblieben war. Ich sprach nachher mit mehreren von ihnen – treffliche, kräftig aussehende Burschen, und mit gesittetem Benehmen. Ich glaube nicht, dass irgendeine andere Truppe es damit hätte aufnehmen können, außer vielleicht diese Fallschirmjungens (selbst).“ Soweit die Bewertung der Gefechtsleistungen der deutschen Fallschirmjäger durch einen britischen General.

Die Soldaten der Bundeswehr – und damit wiederum die Fallschirmjäger – stehen nun seit über 25 Jahren in Einsätzen fast rings um den Globus. Auch die Fallschirmjäger der Bundeswehr haben Verluste an Toten und Verwundeten in den Einsätzen, vor allem in Afghanistan, erlitten.

Im Gegensatz zu ihren Kameraden in der ehemaligen deutschen Wehrmacht können sie jedoch gewiss sein, Aufträge zu erhalten, die demokratisch legitimiert und kontrolliert sind und keinem Unrecht dienen. Dies immer sicherzustellen – darin liegt die besondere Verantwortung der Politik! Für die Kampfmoral der jungen Soldaten ist die Legalitäts- und Legitimitätsfrage von Einsätzen ein entscheidender Faktor! Oder einfacher ausgedrückt: Ist das, was wir tun, Recht und wird es von der Masse der Bevölkerung verstanden und mitgetragen?

Wie ihre Kameraden in der ehemaligen Wehrmacht jedoch erleben auch die Soldaten der Bundeswehr die Härten von Tod und Verwundung. Ein junger Fallschirmjäger sagte mir unter Tränen am Abend eines Gefechtstages, an dem er einen Kameraden verloren hatte: „Herr General, ich kann das gar nicht fassen: Heute Morgen haben wir noch gemeinsam gefrühstückt und heute Abend ist er tot!“ Fast wortwörtlich das Gleiche hat uns unser alter Adler in Mt. Cassino, ebenfalls unter Tränen gesagt, als er von Tod der zwei Kameraden sprach, die im Heuhaufen verbrannten: „Morgens sind wir noch gemeinsam Streife gegangen und mittags waren sie tot!“

Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass von den Soldaten, die in Afghanistan unter meinem Kommando gefallen sind, seien es Deutsche, Amerikaner oder Skandinavier, egal welche Nation, dass von diesen jungen Männern keiner sterben wollte. Sie wollten alle leben, nahmen aber die Gefahr des Todes als ständigen Begleiter tapfer auf sich. Alles oberflächliche, den Tod und die Verwundung auf dem Gefechtsfeld verherrlichende Gerede verkennt – vorsätzlich oder fahrlässig – die Realitäten des Kampfes. Hier geht es um Blut, Töten und Getötet werden, Schweiß, Angst und höchste Anspannung. Faktoren, denen die Soldaten ausgesetzt sind und mit denen umzugehen sie lernen müssen.

Am Ende sind es Korpsgeist, Können und Kameradschaft, die bekannten drei „K`s“, die der Leim sind, der die Truppe zusammenhält. Ich kann Ihnen versichern, dass sich auch die heutige Generation von Fallschirmjägern – Männer wie Frauen – im Gefecht bewährt hat und sich eines ausgezeichneten Rufs –   auch bei unseren Verbündeten – erfreut.

Der Tod jedes Einzelnen von ihnen ist eine Tragödie, auch und besonders für seine Angehörigen. Wer einmal vor einer jungen Frau gestanden hat, die ihr Kind auf dem Arm hat, und der man sagen muss, dass ihr Mann nicht mehr nach Hause kommt, weiß, wovon ich rede. Ich kann nur hoffen, dass die Bevölkerung unseres Landes sich des Opfers bewusst ist, was von unseren jungen Männern und Frauen für unser aller Freiheit erbracht wird.  Vor diesem Hintergrund habe ich es sehr begrüßt, dass in Potsdam-Schwielowsee beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr der Wald der Erinnerung errichtet wurde, der unsere im Einsatz gefallenen Kameraden ehrt. (Einige Broschüren dazu habe ich am Kirchenausgang bereitgelegt. Sie können sie gern mitnehmen.)

Ich darf Sie nun bitten, mit mir der gefallenen Soldaten aller Generationen und unserer Kameraden der Fallschirmjägertruppe zu gedenken. Für diejenigen Soldaten der Bundeswehr, die zur Zeit in den Einsätzen sind, bitten wir Gott um eine gute und glückliche Heimkehr.

Ich danke Ihnen!